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Autor Thema: Erklärungsmodelle: Tiefenpsychologie und Lerntheorien  (Gelesen 34161 mal)

Offline Heikje

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Re: Erklärungsmodelle: Tiefenpsychologie und Lerntheorien
« Antwort #15 am: 21. Jul 2006, 10:44 Uhr »
hallo,

aus meinem Erfahrungskästchen:
Bevor es mit der Hypnotherapie bei ihm richtig losging, wurde man gefragt was man denn eigentlich möchte.
Eher die Ursachen bestimmter Probleme/Symptome aufdecken oder mit dem Ist-Zustand mehr Lebensqualität erreichen. Und je nach Therapiewunsch (der sich auch ein wenig nach Zeit und Finanzen richtete) wurde dann gearbeitet.
Zitat
Ich hatte mal gelesen es wäre in Dtl. eher Standard, daß man dann nach Ursachen forscht wenn die Probleme sich anders nicht lösen ließen.
Wir handhaben das in der Synergetik so, daß wir uns einfach vom Unbewußten des Klienten leiten lassen. Es führt (so der Klient bereit zur Arbeit an sich ist) immer an die Themen seines Lebens.
Und wenn das Unbewußte der Meinung ist, der Klient bräuchte zuerst Stärkung um ursächlich aufzuarbeiten, dann tauchen ganz von alleine Bilder auf, in denen er zu inneren Instanzen, Kraftquellen oder seinem höheren Selbst Kontakt bekommt.

liebe Grüße
Heikje

Offline Lutz

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Re: Erklärungsmodelle: Tiefenpsychologie und Lerntheorien
« Antwort #16 am: 21. Jul 2006, 17:51 Uhr »
Hi,

Zitat
Dabei nannte er Konflikte wie z.B. den zwischen Autonomie vs. Bindung (z.B. Partnerschaft) als einn häufigen Grund für Leiden.

Dieses Modell entspricht nach meinem Verständnis mehr einer tiefenpsychologisch-psychodynamischen Betrachtungsweise als lerntheoretischen Überlegungen.

Ja - da hast du ganz recht, wenn man von den alten Ansätzen in der Verhaltenstherapie ausgeht.

Es ist aber so, dass die kognitive VT sich aus der tiefenpsychologischen, systemischen, Gesprächs-, Gestalttherapie bedient - und umgekehrt genauso.
Meines Wissens nach sind diese starren und starken Abgrenzungen der Verfahren  im Anwendungsbereich schon lange durchlässig geworden ...

und es ist wohl mal wieder eine Frage der Betrachtungsweise. So ist ja das konkrete Ausgestalten der eigenen Partnerschaft wieder eng damit verbunden, wie man denn eine Partnerschaft "gelernt" hat (Stichwort: Modelllernen - Eltern pp.). Je nachdem, wo denn die Wurzel eines Problems schwerpunktmäßig angesiedelt ist, können mal mehr der eine, mal der andere Bereich betroffen sein - oder gleich mehrere.

Und je nach Therapiewunsch (der sich auch ein wenig nach Zeit und Finanzen richtete) wurde dann gearbeitet.

So ähnlich ist das auch bei mir, wobei der Faktor "Zeit" meist der Ausschlag gebende ist. Wenn man in einem bestimmten Zusammenhang eben nur 30 Min. zur Verfügung hat, muss man sich halt darauf einstellen.

Wenn allerdings die Bereitschaft und Möglichkeit da ist, sich länger und ggf. auch mehrmals zu treffen, dann versuche ich stets, etwas ganz anderes zu tun, als "ein Symptom wegzumachen". Mein Bestreben ist, ein Verständnis dafür entwickeln zu helfen, wie jemand "funktioniert", um damit dessen Eigenkompetenz zu stärken und ihn nach Möglicheit zu befähigen, zukünftig im Wege des Transfers diese Erkenntnisse auch für ganz andere Bereiche seines Lebens zu nutzen.

Ist dieses Verständnis einmal da, wird der Klient das in Rede stehende Symptom für sich neu einordnen können, wird es letztendlich als "Leistung" und nicht als "Defizit" ansehen und wird erkennen, dass es zwar eine gute Absicht hatte, dass es aber "suboptimal" ist und dass man nun mal was Besseres ausprobieren könnte. Deswegen geht's bei mir meist (auch) in die analytische Richtung, sofern jedenfalls irgend ein "Symptom" betroffen ist.

Dass ein Klient vielleicht freudig (weil symptombefreit) weggeht, um dann auf die Frage "Wie ging das denn jetzt?" nur achselzuckend antworten zu können: "Keine Ahnung, ist halt Hypnose!", ist nicht mein Ziel. Aber hätte ich einen eng terminierten Praxisbetrieb und Klienten, die nicht nur auf die Zeit, sondern auch auf die Kosten gucken müssten, wäre das wohl anders.  :)

Lieben Gruß
Lutz

Miraculus

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Re: Erklärungsmodelle: Tiefenpsychologie und Lerntheorien
« Antwort #17 am: 22. Jul 2006, 09:14 Uhr »
Hallo Ihr drei,


danke für die wirklich interessanten Antworten.  :)

Noch einige Zusatzfragen:

1. In wievielen Fällen ist eine Problematik denn NUR lerntheoretisch erklärbar und das Symptom kein Zeichen eines unbewußten Konflikts?
2. Wie oft spielen im SInne Freud frühe Konflikte eine (wesentliche) Rolle, wie oft hauptsächlich rein aktuelle?
3. Was ist, wenn man ein Symptom (z.B. Angststörung, Zwnahsstürung, Eßsörung, Somatisierungsstörung....) auflöst, ohne sich dabei um den möglicherweise dahinterstehenden Sinn zu kümmern (z.B. Ausdruck der Unzufriedenheit mit einer bestimmten Lebenssituation?), und somit nnichts an der eigentlichen Ursache verändert?
4. Warum gibt es nicht schon offiziell eine "integrative Psychotheraoie", die von den Kassen als solche gezahlt wird?

Zitat Lutz:
Zitat
Mein Bestreben ist, ein Verständnis dafür entwickeln zu helfen, wie jemand "funktioniert", um damit dessen Eigenkompetenz zu stärken und ihn nach Möglicheit zu befähigen, zukünftig im Wege des Transfers diese Erkenntnisse auch für ganz andere Bereiche seines Lebens zu nutzen.

Das würde ich mal gerne wissen, wie die menschliche Psyche eigentlich funktioniert!
Aus den Puzzle-Teilchen konnte ich mir noch kein wirklich klares Bild zusammensetzen!


LG Miraculus

Offline Susanne

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Re: Erklärungsmodelle: Tiefenpsychologie und Lerntheorien
« Antwort #18 am: 22. Jul 2006, 11:42 Uhr »
Ächz

Du stellt Fragen wie mein Sohn: Mama was ist der Sinn des Lebens?

Ad 1. Das läßt sich nicht beantworten, da es keine Studien dazu gibt.
         Ich wage  aber zu behaupten, dass ein Syndrom und Symptome niemals monokausal erklärbar
        ist und niemals monokausal generiert wurde

Ad 2. Das ist wiederum so nicht beantwortbar. Dazu gibt es auch keine systematische Datenerhebung
         (ich kenne zumindest keine)

Ad 3. Das kann gutgehen, das kann wirkungslos verpuffen, das kann zur Symptomverschiebung führen, das kann zur
        Verstärkung der Symptomatik führen ....... das kann je nach Art und Ausprägung der Störung, des Problems bis hin
        zu destruktiven Reaktionen führen ... im schlimmsten Falle kann eine Person suizidal werden, wenn man das Symptom
       als Ausdrucksform und Entlastungsventil für die Grundproblematik wegnimmt.
       Bekannt ist das zum Beispiel bei Depressiven ... wenn jemand mit Depressionen mit Antidepressiva behandelt wird,
      dann kann es sein das vor der Stimmungsaufhellenden wirkung die antriebssteigernde einsetzt.
       Damit ist dem Patienten der Antrieb zurückgegeben und schwuppdich haben das einige genutzt um sich aus der
      Depression in den Suizid zu flüchten.
      Ergo, die Antriebshemmung hat als Einzelsymptom innerhalb des Syndroms Depression auch eine schützende Funktion
      Nimmt man die weg, kommt das Gleichgewicht des Syndroms aus der Balance und es geht ab ins Chaos.
      Ähnlich kann Hypnose wirken, wenn man dem Patienten ein Problem wegsuggeriert...

Ad 4. Tja ... warum ... weil sie nachweispflichtig sind, weil nur bestimmte Verfahren als wissenschaftlich nachweisbar wirksam
         anerkannt sind, weil die Lobby der Pharmaindustrie und der Ärzte in  andere Richtungen steuert, ... werweiß


Und wie die menschliche Psyche funktioniert .... "Mama, was ist der Sinn des Lebens"
"Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man etwas Schönes bauen."
(Goethe)

Offline Lutz

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Re: Erklärungsmodelle: Tiefenpsychologie und Lerntheorien
« Antwort #19 am: 22. Jul 2006, 18:39 Uhr »
1. In wievielen Fällen ist eine Problematik denn NUR lerntheoretisch erklärbar und das Symptom kein Zeichen eines unbewußten Konflikts?

Eine statistische Ausdifferenzierung wird man hier m.E. nicht machen können, denn es handelt sich ja nicht um unterschiedliche Ursachen, sondern nur um unterschiedliche Betrachtungsweisen. Und letztendlich basiert einerseits jeder Konflikt auf Einstellungen, Haltungen, Werten usw., die zuvor mal gelernt und angenommen wurden, so wie andererseits alles, was als "Symptom" bezeichnet wird, ja Ausdruck eines Konflikts ist zwischen Teilen, die dieses Symptom "wollen", und Teilen, die es eben nicht wollen.

Dass ein Symptom nur so oder so erklärt werden kann, ist mir nicht vorstellbar.
Da ich dennoch von "Schwerpunkten" sprach, ein Beispiel dazu:

Jemand leidet an der Zwangsneurose, sich immer die Hände waschen zu müssen, wenn er seine 4 Wände betritt (ich kenne so jemanden  :mnh:). Wie ist das nun einzuordnen? Nehmen wir mal an, er tut dies, weil seine Oma ihm als Kind eintrichterte, genau dies zu tun. Und das tut er noch heute als Erwachsener. Hier würde ich den Schwer- (und vor allem Ansatz-) punkt im Lerntheoretischen sehen: er hat etwas an sich Sinnvolles gelernt, hat bisher aber versäumt, dieses Verhalten als Erwachsener anzupassen (umzulernen), denn als Erwachsener spielt man nicht mehr im Dreck und muss sich also auch nicht unbedingt jedesmal die Hände waschen.

Mann kann aber auch konstruieren, dass hier ein Beziehungskonflikt in Form einer mangelnden Ablösung von einer einstigen Bezugsperson vorliegt - was "irgendwo" vielleicht auch stimmt, aber für mich in seiner Bedeutung zurücktritt.

Anders wäre es wieder, wenn dieses Händewaschen von der neurotischen Ex-Ehefrau eingeführt und übernommen wäre, hier würde ich die Wertigkeit umdrehen.

Zitat
2. Wie oft spielen im SInne Freud frühe Konflikte eine (wesentliche) Rolle, wie oft hauptsächlich rein aktuelle?

Ist für mich auch wieder eine Frage des Sichtweise, nicht der Statistik. Bleiben wir bei dem Händewäscher: über den würde Freud vielleicht sagen, dass es ja was mit Reinlichkeit und damit ggf. der analen Phase zu tun hätte, dass sich sowas überhaupt entwickeln kann. Wenn man es denn so sehen möchte - bitteschön!  ;)

Und wenn jemand anmerkt, dass es doch Fälle gäbe, die (scheinbar) erst in der Gegenwart entstehen (z.B. Traumata nach Unfällen, Verbrechen pp.), dann haben wir wieder Person A, die nach so einem Anlass ein Trauma entwickelt, und Person B, die gar nicht daran denkt - und schon sind wir da auch wieder bei einer Erklärungssuche in der Vergangenheit. Es hängt halt alles irgendwie zusammen.  :)

Zitat
Das würde ich mal gerne wissen, wie die menschliche Psyche eigentlich funktioniert!

Dafür machen wir aber einen neuen Thread auf!  ;D

Lieben Gruß
Lutz

Miraculus

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Re: Erklärungsmodelle: Tiefenpsychologie und Lerntheorien
« Antwort #20 am: 24. Jul 2006, 09:26 Uhr »
Hallo zusammen,

Ihr fleißigen Schreiberlinge.  ;)

Zitate Susanne:
Zitat
Du stellt Fragen wie mein Sohn: Mama was ist der Sinn des Lebens?

Und jetzt hast Du noch einen quängelnden Neffen  zu allem Überdruß!  :D


Zitat
Ad 3. Das kann gutgehen, das kann wirkungslos verpuffen, das kann zur Symptomverschiebung führen, das kann zur
        Verstärkung der Symptomatik führen ....... das kann je nach Art und Ausprägung der Störung, des Problems bis hin
        zu destruktiven Reaktionen führen ... im schlimmsten Falle kann eine Person suizidal werden, wenn man das Symptom
       als Ausdrucksform und Entlastungsventil für die Grundproblematik wegnimmt.
       ...


Es gilt ja als allgemeine Regel, daß man in einer Suggestiv-Therapie nicht einfach Syndrome unterdrücken soll....aber ganz allgemein frage ich mich, ob nicht symptomorientierte Behandlungen, wie sie ja auch durchgeführt werden, generell problematisch sind, nach dem was Du schreibst... ???

Zitat
Ad 4. Tja ... warum ... weil sie nachweispflichtig sind, weil nur bestimmte Verfahren als wissenschaftlich nachweisbar wirksam
         anerkannt sind, weil die Lobby der Pharmaindustrie und der Ärzte in  andere Richtungen steuert, ... werweiß

Eine Integration anerkannter Techniken wie Verhaltenstherapie und Psychoanalyse (und demnächst vielleicht Hypnotherapie) wäre doch sinnvoll...das gäbe dem Therapeuten mehr Flexibilität....

Zitate Lutz:

Zitat
Zitat
Zitat
Das würde ich mal gerne wissen, wie die menschliche Psyche eigentlich funktioniert!

Dafür machen wir aber einen neuen Thread auf!   ;D


Na, dann mal los!  :)

Wie ist das eigentlich mit Suggestionen, die Kraft der Autorität einer Beziehungsperson (z.B. Elternteil) wirken, indem sie aufgenommen und verinnerlicht wurden, ohne daß es hierfür ein Vorbild gab?
Mir scheint, daß das nicht einfach unter klassische oder operante Konditionierung oder Modellernen subsumierbar ist...oder?
Oder gibt es dafür ein anderes lerntheoretisches Modell?

LG Miraculus

Offline Lutz

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Re: Erklärungsmodelle: Tiefenpsychologie und Lerntheorien
« Antwort #21 am: 24. Jul 2006, 11:05 Uhr »
Zitat
Es gilt ja als allgemeine Regel, daß man in einer Suggestiv-Therapie nicht einfach Syndrome unterdrücken soll....

Kommt drauf an, welcher therapeutischen "Richtung" man angehört...

Zitat
aber ganz allgemein frage ich mich, ob nicht symptomorientierte Behandlungen, wie sie ja auch durchgeführt werden, generell problematisch sind, nach dem was Du schreibst...  ???

Missverständnis! "Symptomorientiert" bedeutet ja nicht, dass die Behandlung nur daraus bestehe, ein Symptom "wegzusuggerieren". Erickson z.B. arbeitete in einer Vielzahl seiner überlieferten Fälle ausschließlich symptomorientiert und scherte sich nicht um eine vergangenheitsbezogene Analyse. Er hat aber meines Wissens nie ein Symptom "wegsuggeriert", sondern arbeitete teilweise "mit" dem Symptom, Beispiel: Nägelkauen.

Er fordert einen Jungen auf, zukünftig mindestens 30 Min. täglich demonstrativ zu kauen. Der Junge freut sich zunächst über diese unerwartete Erlaubnis, bis es ihm offenbar "zu doof" wird, das Angeordnete ("Symptomverschreibung") weiter zu befolgen - und lässt es ganz. Sowas ist "symptomorientiert", meint aber nicht das bloße Wegsuggerieren.

Zitat
Wie ist das eigentlich mit Suggestionen, die Kraft der Autorität einer Beziehungsperson (z.B. Elternteil) wirken, indem sie aufgenommen und verinnerlicht wurden, ohne daß es hierfür ein Vorbild gab?
Mir scheint, daß das nicht einfach unter klassische oder operante Konditionierung oder Modellernen subsumierbar ist...oder?
Oder gibt es dafür ein anderes lerntheoretisches Modell?

Mal ein Angebot ohne abstrakte Theorie dahinter:
Ein Mensch kann in dieser hochkomplexen Welt nur deshalb (über-) leben, weil er insbesondere als Kind die Fähigkeit hat, Mitgeteiltes einfach so unkritisch anzunehmen. "Lego-Steine isst man nicht, man geht nicht auf die Autobahn, aus schmutzigen Pfützen trinkt man nicht, da springt man nicht runter..." und 1000 andere Dinge übernehmen wir unreflektiert - und das ist gut so. Und wenn zwischen diesen ganzen Informationen (= Suggestionen) sich auch mal welche verstecken, die destruktiv sind, rutschen die ggf. mit durch und werden ebenso übernommen.

Lieben Gruß
Lutz

Miraculus

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Re: Erklärungsmodelle: Tiefenpsychologie und Lerntheorien
« Antwort #22 am: 24. Jul 2006, 11:19 Uhr »
Hallo Lutz,

Zitat
Zitat
Es gilt ja als allgemeine Regel, daß man in einer Suggestiv-Therapie nicht einfach Syndrome unterdrücken soll....

Kommt drauf an, welcher therapeutischen "Richtung" man angehört...

Ich denke dabei an richtiges Unterdrücken von Syndromen (Du darfst undwirst neimals mehr rauchen) welches auch in einer "anständigen" Suggestivtherapie nicht vorkommt.

Zitat
Missverständnis! "Symptomorientiert" bedeutet ja nicht, dass die Behandlung nur daraus bestehe, ein Symptom "wegzusuggerieren". Erickson z.B. arbeitete in einer Vielzahl seiner überlieferten Fälle ausschließlich symptomorientiert und scherte sich nicht um eine vergangenheitsbezogene Analyse. Er hat aber meines Wissens nie ein Symptom "wegsuggeriert", sondern arbeitete teilweise "mit" dem Symptom, Beispiel: Nägelkauen.

Er fordert einen Jungen auf, zukünftig mindestens 30 Min. täglich demonstrativ zu kauen. Der Junge freut sich zunächst über diese unerwartete Erlaubnis, bis es ihm offenbar "zu doof" wird, das Angeordnete ("Symptomverschreibung") weiter zu befolgen - und lässt es ganz. Sowas ist "symptomorientiert", meint aber nicht das bloße Wegsuggerieren.

Schon in Ordnung, ABER...was ist, wenn das Nägelkauen z.B. ein Ausdrucksventil von Autoaggression war, das jetzt fehlat? Besteht dann nicht auch eine gewisse Gefahr?


Zitat
Mal ein Angebot ohne abstrakte Theorie dahinter:
Ein Mensch kann in dieser hochkomplexen Welt nur deshalb (über-) leben, weil er insbesondere als Kind die Fähigkeit hat, Mitgeteiltes einfach so unkritisch anzunehmen. "Lego-Steine isst man nicht, man geht nicht auf die Autobahn, aus schmutzigen Pfützen trinkt man nicht, da springt man nicht runter..." und 1000 andere Dinge übernehmen wir unreflektiert - und das ist gut so. Und wenn zwischen diesen ganzen Informationen (= Suggestionen) sich auch mal welche verstecken, die destruktiv sind, rutschen die ggf. mit durch und werden ebenso übernommen.

Eben! Aber wird dieses "einfache Lernen" überhaupt durch eine der üblichen Lerntheorien erfaßt?

LG Miraculus

Offline Lutz

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Re: Erklärungsmodelle: Tiefenpsychologie und Lerntheorien
« Antwort #23 am: 24. Jul 2006, 14:21 Uhr »
Zitat
Schon in Ordnung, ABER...was ist, wenn das Nägelkauen z.B. ein Ausdrucksventil von Autoaggression war, das jetzt fehlat? Besteht dann nicht auch eine gewisse Gefahr?

Das geschilderte Vorgehen zeichnet sich ja dadurch aus, dass der Klient nach wie vor die Wahlfreiheit behält, ob und wann er sein Verhalten ändern will. Wenn er (sein UB) der Meinung ist, dass es unterm Strich (jetzt noch) besser ist, am Symptom festzuhalten, spricht ja nichts (und vor allen Dingen kein direktiver hypnotischer Befehl) dagegen.

Erickson hat also nur ein "Angebot" gemacht und eine neue symptombezogene Komponente eingeführt, ohne eine Verhaltensänderung anzuordnen oder zu suggerieren.

Zitat
Eben! Aber wird dieses "einfache Lernen" überhaupt durch eine der üblichen Lerntheorien erfaßt?

Ich bin kein Fachmann für Lerntheorien. Allerdings habe ich bisher noch über keine gelesen, die primär diese grundsätzliche, altersbedingte Annahme von Leitsätzen zum Gegenstand hätte. Lerntheorien beschäftigen sich nach meinem Eindruck wohl eher damit, wie vor dem Hintergrund einer einzelnen bestimmten Problemstellung gelernt wird.

Es gibt aber vereinzelt in der Hypnoseliteratur und auch bei der Hirnforschung Ausführungen dazu. So gibt es die Auffassung, dass kleine Kinder ohnehin ihr Leben in einem Trancezustand verbringen, der sie offen für Suggestionen macht. Vorherrschende Hirnwellenstrukturen bei "wachen" Kindern, die denen einer "Erwachsenentrance" nahe kommen, nähren diese These.

Lieben Gruß
Lutz

Miraculus

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Re: Erklärungsmodelle: Tiefenpsychologie und Lerntheorien
« Antwort #24 am: 25. Jul 2006, 09:17 Uhr »
Hi Lutz,


Zitat
Das geschilderte Vorgehen zeichnet sich ja dadurch aus, dass der Klient nach wie vor die Wahlfreiheit behält, ob und wann er sein Verhalten ändern will. Wenn er (sein UB) der Meinung ist, dass es unterm Strich (jetzt noch) besser ist, am Symptom festzuhalten, spricht ja nichts (und vor allen Dingen kein direktiver hypnotischer Befehl) dagegen.

Erickson hat also nur ein "Angebot" gemacht und eine neue symptombezogene Komponente eingeführt, ohne eine Verhaltensänderung anzuordnen oder zu suggerieren.

Bei alledem bleibt aber bestehen, daß das "eigentliche" Problem, nämlich die Wurzel des sörenden Verhaltens, nicht bearbeitet wird. Und gerade die wäre es doch, die mehr als die psychische Reaktion auf dieselbe bearbeitet werden müsste?

Zitat
Ich bin kein Fachmann für Lerntheorien. Allerdings habe ich bisher noch über keine gelesen, die primär diese grundsätzliche, altersbedingte Annahme von Leitsätzen zum Gegenstand hätte. Lerntheorien beschäftigen sich nach meinem Eindruck wohl eher damit, wie vor dem Hintergrund einer einzelnen bestimmten Problemstellung gelernt wird.

Das ist auch etwas, was mich an verhaltenstheoretischen Modellen immer wieder stört.: Ich habe den Eindruck, das sämtliche wesentlichen "Funktionsweisen" der menschlichen Psyche mit jenen Modellen als für hinreichend beschrieben erachtet werden, mit denen man das Laufen einer Ratte im Labor oder des Hundespeichels über die Lefzen erklärt.

Natürlich spielen solche Dinge auch eine wichtige Rolle beim Menschen - aber nicht die einzige. Das ist mir zu schematisch. Außerdem wird dabei der Ausdruckcharakter von Syndromen, ihr Sinn, die Intelligenz des UBs und sein zweckgerichtetes Handeln nicht ausreichend berüchsichtigt.
Die "alte" Verhaltenstherapie vor der kognitiven Wende  hat wohl an solchen Mängeln gekrankt.


LG Mirraculus
« Letzte Änderung: 16. Aug 2006, 15:12 Uhr von Miraculus »

Offline Lutz

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Re: Erklärungsmodelle: Tiefenpsychologie und Lerntheorien
« Antwort #25 am: 25. Jul 2006, 12:17 Uhr »
Zitat
Bei alledem bleibt aber bestehen, daß das "eigentliche" Problem, nämlich die Wurzel des sörenden Verhaltens, nicht bearbeitet wird. Und gerade die wäre es doch, die mehr als die psychische Reaktion auf dieselbe bearbeitet werden müsste?

Ich denke, ob es wirklich sinnvoll und angezeigt ist, der Ursache einer Störung analysierend auf den Grund zu gehen, wird eine pragmatische Einzelfallentscheidung bleiben müssen. Erickson war ja Psychologe, Arzt und Psychiater und hatte große therapeutische Erfahrung. In diesem Fall (und in vielen anderen) hatte er es offenbar nicht für notwendig erachtet, dem Übel auf den Grund zu gehen.

Natürlich birgt so ein Vorgehen immer die prinzipielle Gefahr einer Symptomverschiebung mit sich, die aber durch die permissive (erlaubende) Arbeitsweise gemildert wird. Es ist eben Fakt: manche Symptome verschwinden, einmal in einer richtigen Weise angestoßen, einfach ersatzlos. Zur Erinnerung: die Verhaltenstherapie (in ihrer Urform) arbeitet mit nachgewiesenem Erfolg ausschließlich symptomorientiert.

Man kann nicht sagen, daß immer und generell die "Wurzel eines Übels" behandelt werden müsste. Wenn ein 18jähriger Nägel kaut, Bettnässer ist und seit 2 Jahren nicht mehr spricht, würde auch Erickson nicht ausschließlich symptomorientiert arbeiten, vermute ich dringend. Aber bei vergleichsweise (und nach Würdigung der Randumstände) kleinen 'Macken' ist das wohl nicht zu beanstanden. Der Erfolg gibt ihm und anderen hier Recht.

Lieben Gruß
Lutz

Miraculus

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Re: Erklärungsmodelle: Tiefenpsychologie und Lerntheorien
« Antwort #26 am: 26. Jul 2006, 09:15 Uhr »
Hallo Lutz,

danke für die Erklärung. Möglicherweise kann eine geschickte Intervention, bei der die Symptombehandlung gemnacht wird, auch Auswirkungen auf die Ursache derselben haben, wenn diese nicht zu schwer wiegt?

LG Miraculus

Offline Lutz

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Re: Erklärungsmodelle: Tiefenpsychologie und Lerntheorien
« Antwort #27 am: 26. Jul 2006, 16:21 Uhr »
Genau das ist es! Allein eine Beschäftigung mit dem Symptom spricht beim Klienten ja den gesamten Komplex an, der irgendwie mit dem Symptom (unterbewusst) in Verbindung steht. Und kommt es dann zu einer Neustrukturierung, die vielleicht in das Verschwinden des Symptoms mündet, wird dies nicht "einfach so" wegfallen, sondern es werden im Innern des Klienten Prozesse ablaufen, die erst dazu führen.

Ich hatte mal dank der konstruktiven Mitarbeit einer Person in einem "trancebegleitenden Gespräch" einen Knackpunkt in deren Vergangenheit identifizieren können und war nun gerade dabei, gedanklich in meinem Werkzeugkasten nach einem geeigneten Vorgehen zu suchen (Metapher, Dissoziation, Teilearbeit, ...), als mir zu meinem Erstaunen in einem Nebensatz präsentiert wurde: "... aber es ist scheißegal."

Wie - "scheißegal" ??? Ich quäl mich doch nicht Jahre lang für viele, viele Stunden durch Theorie und Praxis, um mir dann vor meiner ach so geistreichen und wohlüberlegten Intervention sagen zu lassen, "... aber es ist scheißegal." Sowas gehört sich nicht!  ;D

Natürlich gehört sich sowas und es bedeutet ja nicht wirklich, dass da nun was schon immer scheißegal gewesen wäre. Es zeigt nur, dass da jemand schneller war als ich und auch ohne mein Zutun bereits etwas "Neustrukturierendes" geschaffen ist, an dessen Ende lediglich herauskommt: (nun!) ist es scheißegal.

Lieben Gruß
Lutz

Offline Susanne

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Re: Erklärungsmodelle: Tiefenpsychologie und Lerntheorien
« Antwort #28 am: 28. Jul 2006, 08:10 Uhr »
 :D

"Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man etwas Schönes bauen."
(Goethe)

Miraculus

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Re: Erklärungsmodelle: Tiefenpsychologie und Lerntheorien
« Antwort #29 am: 28. Jul 2006, 11:32 Uhr »
Was Lutz geschrieben hat glaube ich gerne. Es ist ja auch so, daß starke positive Erlebnisse eines Menschen auch außerhalb einer Therapie vieles verändern können, was (scheinbar) gr nicht mit den positiveb Geschenissen zusammenhängt.

Wie viele teiefenpsychologische Vorstellungen sind eigentlich seit der kognitiven Wende in die Verhaltenstherapie eingeflossen, und wie stark hat umgekehrt die Verhaltenstheorie die Tiefenpsychologie geprägt?

LG Miracuus

 

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