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Autor Thema: "Sitzungsprotokolle" - oder nicht?  (Gelesen 11454 mal)

Offline Lutz

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"Sitzungsprotokolle" - oder nicht?
« am: 01. Mai 2007, 15:06 Uhr »
Hi ihr,

in der therapeutischen Hypnose ist es wohl weitgehend normal, Sitzungsprotokolle anzufertigen, in denen z.B. die Problemstellung, Wirkfaktoren, soziale Bezüge, Ergebnisse, Hausaufgaben usw. usf. festgehalten werden. So hatte ich jedenfalls auch Jahre lang verfahren, wobei ich diese immer als "Gedächtnisprotokolle" nach einer Sitzung schrieb, denn ich empfinde es als störend und behindernd, während einer Sitzung mitzuschreiben (oder auch von einem Zettel was vorzulesen).

Doch eines Tages kam (zum wiederholten Mal) eine Klientin zu mir und ich wollte mich brav auf die Sitzung vorbereiten, indem ich mir die letzten Protokolle zu ihrer Geschichte durchlesen wollte. Diese speicherte ich damals kennwortgeschützt auf dem PC und in diesem Fall - wusste ich das Kennwort nicht mehr! Offenbar hatte ich seinerzeit (noch in Trance?  ;D) ein unübliches Kennwort benutzt, das mich nun nicht mehr an die Protokolle gelangen ließ. Mist. Dann muss es eben ohne gehen.

Um nichts falsch zu machen, bat ich sie also eingangs darum, mir noch einmal ihr Anliegen und die damit in Verbindung stehenden Faktoren zu nennen. Mehr und mehr begann ich nun, mich wieder an die Details ihrer Geschichte zu erinnern. Und ich machte eine seltsame Feststellung (die sich später beim Lesen der geschriebenen Protokolle bestätigte, das Kennwort war mir dann wieder eingefallen):

Sie erzählte nun teilweise ganz andere Dinge, stellte ihr Problem anders dar, erwähnte bestimmte Problem-Aspekte gar nicht mehr und erwähnte dafür neue Dinge...
Schließlich war ich froh, die alten Protokolle nicht gelesen zu haben, denn die hätten mich vielleicht (unbewusst?) dazu gebracht, genau dort anzuknüpfen, wo wir das letzte Mal aufgehört hatten. Und das ist natürlich falsch. Wenn ich z.B. geäußert hätte: "Beim letzten Mal sagtest du ... , wie sieht es jetzt aus?", hätte ich sie damit (unbeabsichtigt) erstmal wieder auf den Stand von vor 4 Wochen rück-orientiert...

Das Ziel therapeutischer Arbeit ist ja Veränderung, ist ja der Wunsch, eine Dynamik anzuschieben, die sich aus alten Sitzungsprotokollen natürlich gerade nicht herleiten lässt. Für diesen Aspekt haben Sitzungsprotokolle den Wert einer 4 Wochen alten Tageszeitung - sie haben mit der aktuellen Realität nichts zu tun und verzerren diese sogar!

Wenn also z.B. eine Klientin ihr Problem mit den Worten schildert: "Ich bin zu schüchtern, um eindlich mal einen Freund zu finden!", dann wird sie vermutlich nicht protestieren, wenn ich sie 4 Wochen später mit den Worten begrüße "Hallo. Du bist also die, die zu schüchtern ist, um einen Freund zu finden." Und sie wird sich vermutlich genau wieder in diese Rolle ergeben.

Frage ich sie aber neu: "Ähm - was war nochmal dein Problem?" (was man so nicht fragen sollte, aber das lass ich hier mal außen vor), dann kann es sein, dass sie z.B. sagt: "Meine Schüchternheit führt dazu, dass ich immer die falschen Männer kennen lerne."

Und so eine Formulierung sagt ja schon was anderes aus, denn die Verantwortlichkeit dafür, dass da etwas unerwünscht läuft, ist dabei schon (zum großen Teil) auf die "falschen Männer" gewandert.
Man sollte Klienten die Möglichkeit einräumen, sich zu widersprechen!  :)

Von daher stellte ich mir die Fragen:
Kann es nicht sogar weitaus sinnvoller sein, einen Klientin bei jeder neuen Sitzung als "neuen" Fall zu sehen und zuvor erarbeitete "Erkenntnisse" eher in Frage zu stellen, als aus Bequemlichkeit auf Notiertes zurückzugreifen?

Ich bin jedenfalls für mich dazu übergegangen, Sitzungsprotokolle (bis auf Ausnahmefälle) nicht mehr anzufertigen. Das lässt mich dann manchmal ein bisschen als Trollo dastehen, wenn jemand in der Sitzung zu mir sagt: "Das hatte ich doch schon beim letzten Mal erklärt, dass das so und so ist!"
Dann schäme ich mich artig und freue mich aber innerlich, dass es beim letzten Mal ggf. ganz anders erklärt wurde...

Ich möchte dabei die Sinnhaftigkeit von Sitzungsprotokollen hier nicht generell in Frage stellen oder gar dazu auffordern, solche nicht mehr anzufertigen - ich frage mich (und euch) nur - wem nützen sie eigentlich und wem schaden sie ggf. auch? Für mich ist es zwar "witzig" und aufschlussreich z.B. beim Verfassen eines neuen Protokolls im Vergleich mit alten Aufzeichnungen zu lesen, dass eine Klientin beim letzten Mal noch hinten ganz in der Ecke PLatz genommen hatte und diesmal mitten auf dem Sofa oder dass diesmal der oberste Blusenknopf geöffnet war, während er bei der Schüchternen beim letzten Mal noch zugeknöpft war (u.a. solche Dinge hatte ich mir notiert) - aber was hat die Klientin davon? Ist ihr nicht vielleicht mehr damit geholfen, wenn ich möglichst viel der letzten Sitzung vergesse, als mich (und damit sie) darauf zurückzuorientieren?

Dies nur mal so als Gedanke in die Runde...  :)

Lieben Gruß
Lutz

Offline MindCore

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Re: "Sitzungsprotokolle" - oder nicht?
« Antwort #1 am: 01. Mai 2007, 16:39 Uhr »
Moinsen,
Zitat
kann es nicht sogar weitaus sinnvoller sein, einen Klientin bei jeder neuen Sitzung als "neuen" Fall zu sehen und zuvor erarbeitete "Erkenntnisse" eher in Frage zu stellen, als aus Bequemlichkeit auf Notiertes zurückzugreifen?
Ich handhabe es genauso, nur mit einer erweiterten Intention, selbst bei meiner kleinen Anzahl an Klienten.  ;) Denn wie du schon in einem sehr älteren Posting dazu geschrieben hast:
Zitat
jeder Mensch ist durch und durch ein lebender Organismus, der sich ständig neu reproduziert. Körperzellen sterben ab und werden durch neue ersetzt.
Und aus dieser Bio/Neurologischen Sichtweise ergibt sich für mich auch die These: Das jede neue entstandene Körperzelle dazu beiträgt, neue Zellverbindungen entstehen zu lassen, die wiederum Einfluss auf unser Handeln und Denken haben können!

Nach meiner Erfahrung kann ich sagen, dass nach jeder "hypnose" Sitzung die Klienten erstmal erstaunt darüber sind, welch neue Erkenntnisse u. Sichtweisen sich für sie ergeben haben. Nach der Sitzung reden wir zwar noch etwas darüber, aber der größte Teil findet, im warsten Sinne der Wortes, in eigener Sache statt. z.B auf dem nach Hause weg,  in den nächsten 1-2 Tagen, oder in den Träumen. Je nach emotionalem Erleben fangen die Klienten damit an, die Sitzung für sich selber nochmals Revue passieren zu lassen- und sich "bewusst" mit ihrem Anliegen auseineinader zu setzen. Dabei entstehen meistens "neuere" Erkenntnisse über ihr "Anliegen" als noch bei der letzen Sitzung.

Kommt dieser Klient 1-2 Wochen wieder, so ist der Stand der Dinge so weit fortgeschritten, dass nicht mehr vom Alten „Fall“ ausgegangen werden kann. Zumindest für mich. Von daher betrachte ich Klienten bei jeden neuen Besuch als neue Person mit neuen Erkenntnissen  über deren Anliegen.

Mit neuronalen Grüßen Eddie

Sandy

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Re: "Sitzungsprotokolle" - oder nicht?
« Antwort #2 am: 01. Mai 2007, 19:08 Uhr »
Hi,

ich mache mir während des Gespräches immer von Hand ein paar Notizen ... damit ich während des Verlaufes auch mal wieder zurückgreifen kann auf schon gesagtes. Beim nächsten Termin hab ich ihn parat. Gedankenstütze für mich. Ich frage aber nur, was sich in der Zwischenzeit getan hat. Daraufhin wird meist großzügig berichtet. Manchmal ist ihnen bewusst was sich alles verändert hat. Oft wird es erst während des Erzählens offensichtlich.

Zitat
Das Ziel therapeutischer Arbeit ist ja Veränderung, ist ja der Wunsch, eine Dynamik anzuschieben, die sich aus alten Sitzungsprotokollen natürlich gerade nicht herleiten lässt. Für diesen Aspekt haben Sitzungsprotokolle den Wert einer 4 Wochen alten Tageszeitung - sie haben mit der aktuellen Realität nichts zu tun und verzerren diese sogar!

Aber an dem alten Protokoll können doch prima die Veränderungen erkannt werden? Auch, wenn es für die aktuelle Sitzung nicht mehr wichtig erscheint.

Offline Lutz

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Re: "Sitzungsprotokolle" - oder nicht?
« Antwort #3 am: 01. Mai 2007, 21:48 Uhr »
Hi ihr,

@ Sandra:

Zitat
ich mache mir während des Gespräches immer von Hand ein paar Notizen [...] Ich frage aber nur, was sich in der Zwischenzeit getan hat.

Wenn man wirklich nur ganz pauschal fragt, "was sich in der Zwischenzeit getan hat", braucht man ja das Protokoll/die Notizen dafür nicht.  :)
Wenn man sich aber auf das Notierte zu stützen beginnt und dann weiter nachfragt: "Und was ist mit XY geworden?", dann kann es sein, dass man allein mit dieser Frage den Klienten an einen Aspekt einer Symptomatik erinnert, der inzwischen von diesem schon längst vergessen und überwunden war. Das muss nun keine Katastrophe sein, es kann ja sogar auch für den Klienten schön und hilfreich sein festzustellen, was sich schon gebessert und erledigt hat.

In einem anderen Fall aber könnte es den Klienten auch wieder "zurückwerfen", ihn mit bereits "Überwundenem" oder inzwischen veralteten Sichtweisen zu konfrontieren.

Wie gesagt, ich möchte hier nicht Sitzungsprotokolle oder Notizen generell "verteufeln", wollte nur mal ansprechen, dass diese einen m.E. auch behindern und sich insgesamt kontraproduktiv auswirken können.

Lieben Gruß (auch an neuronale Neuronasen)
Lutz

Offline MindCore

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Re: "Sitzungsprotokolle" - oder nicht?
« Antwort #4 am: 01. Mai 2007, 21:53 Uhr »
Moinsen,
Zitat
Lieben Gruß (auch an neuronale Neuronasen)
Danke sehr, ist angekommen!

Gruß Eddieson  ;)

Sandy

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Re: "Sitzungsprotokolle" - oder nicht?
« Antwort #5 am: 02. Mai 2007, 06:19 Uhr »
Zitat
Wenn man wirklich nur ganz pauschal fragt, "was sich in der Zwischenzeit getan hat", braucht man ja das Protokoll/die Notizen dafür nicht. 

Doch, ich brauche die Notizen in soweit, dass ich den Fortschritt oder Veränderung wissen will. Damit ich weiß, ob meine Vorgehensweise ok war, ich was ändern sollte etc. Und manchmal erinnere ich einen Klienten auch an Dinge im Gespräch davor. Kommt auf die Situation an. Intuitiv.

Offline Lutz

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Re: "Sitzungsprotokolle" - oder nicht?
« Antwort #6 am: 02. Mai 2007, 17:15 Uhr »
Hi Sandra,

Zitat
Und manchmal erinnere ich einen Klienten auch an Dinge im Gespräch davor. Kommt auf die Situation an. Intuitiv.

"Intuition" halte (auch) ich für ganz wichtig bei der Sache. Und so gehe ich also davon aus, dass du es intuitiv dann auch bestimmt richtig machst!  :)

Lieben Gruß
Lutz

Sandy

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Re: "Sitzungsprotokolle" - oder nicht?
« Antwort #7 am: 02. Mai 2007, 17:51 Uhr »
Hi Sandra,

Zitat
Und manchmal erinnere ich einen Klienten auch an Dinge im Gespräch davor. Kommt auf die Situation an. Intuitiv.

"Intuition" halte (auch) ich für ganz wichtig bei der Sache. Und so gehe ich also davon aus, dass du es intuitiv dann auch bestimmt richtig machst!  :)

Lieben Gruß
Lutz

 ;D (ich auch)  ;)

Im Ernst: Ich habe im Leben oft nicht auf meine Intuition gehört ... und es stellte sich als falsch heraus. Ich trau mich oft nicht, darauf zu hören! Auf mein Bauchgefühl, meine Intuition. Wird uns irgendwie abtrainiert. Man muss alles genau erklären können, belegen, mit Formeln oder sonst was. Als erwachsener Mensch muß man es dann wieder lernen, doch auf sich zu hören. :) So ganz ohne Grund hat man diese "Bauchgefühle" nämlich doch nicht. Aber das wäre ein Thema für ein extra Thread.

Offline MindCore

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Re: "Sitzungsprotokolle" - oder nicht?
« Antwort #8 am: 02. Mai 2007, 18:35 Uhr »
Moinsen,
Zitat
Auf mein Bauchgefühl, meine Intuition.
oder deinem Unterbewusstsein!
Zitat
Aber das wäre ein Thema für ein extra Thread.
Dann mache ich gleich mal einen X-TRA auf! Siehe hier: http://www.hypnose-service.de/forum/index.php?topic=607.msg5876#new

Gruß Eddie
« Letzte Änderung: 02. Mai 2007, 19:20 Uhr von MindCore »

Offline rüdiger

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Re: "Sitzungsprotokolle" - oder nicht?
« Antwort #9 am: 05. Mai 2007, 16:03 Uhr »
Hallo,

eine Sitzungsprotokoll ist bei mir zu einer Stichwortsammlung komprimiert, die eher technische Infos wie Induktionsmethode, Tranceeintritt, Reaktivität usw enthält. Probleme notiere ich mir eigentlich nicht, sondern nur die Veränderungswünwsche oder -ziele des Patienten. Und natürlich die Fortschritte in diese Richtung. Das reicht mir immer. Hypnoseverläufe sind bei mir immer sehr variabel und intuitiv.

Freundliche Grüße
Rüdiger

 

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